Warum sind die Märkte im freien Fall?

Finanzielles Wohlbefinden

Die erste Hälfte dieses Jahres hat sich als harte Zeit für den Aktienmarkt, für Investoren und börsennotierte Unternehmen gezeigt. Nach Jahren mit zweistelligen Renditen und einem Höhenflug der Technologie-Aktien erleben die Märkte jetzt schließlich die Abrechnung – und diese erweist sich bisher als außerordentlich schmerzhaft. Viele Investoren möchten die Gründe für diesen jüngsten Ausverkauf erfahren – ob es nur eine momentane beängstigende Entwicklung ist oder ob die guten Zeiten nun endgültig vorbei sind.

Sehen wir uns nachfolgend einige der Gründe an, warum die Märkte im freien Fall sind und wie hoch das Ausmaß der Schäden ist.

Es gibt zweistellige Verluste für Indizes in einem der schlechtesten Quartale aller Zeiten.
Es gibt zweistellige Verluste für Indizes in einem der schlechtesten Quartale aller Zeiten.

Wie schlecht hat sich der Aktienmarkt 2022 entwickelt?

Ende 2022 brach der Leitindex S&P 500 seit Beginn des neuen Jahres auf unter 17 % ein. (Dieser Index umfasst die 500 größten an den US-Börsen notierten Unternehmen.) Der NASDAQ, die zweitgrößte Börse nach der New York Stock Exchange (NYSE), ist noch stärker betroffen und hat seit Jahresbeginn Verluste von mehr als 28 % zu verzeichnen.

Inflation und steigende Renditen bremsen das Wachstum

Nach einem sehr langen Zeitraum mit niedrigen Zinsen hat die Entscheidung der US- Notenbank, die Zinsen zweimal anzuheben, die Märkte in eine umgekehrte Entwicklung versetzt. Ein Anstieg der Zinsen heißt, dass Unternehmen für Kredite mehr bezahlen müssen; diese zusätzlichen Kosten können das Wirtschaftswachstum bremsen und sich negativ auf die Erträge auswirken, was wiederum zu niedrigeren Aktienkursen führt.

Eine der treibenden Kräfte hinter den Zinsanhebungen der US-Notenbank im Jahr 2022 ist die Rekordinflation, von der die US-Bürger betroffen sind. Doch auch andere Länder sind davon nicht verschont geblieben. In der Euro-Zone liegt die Inflation bei 7,5 %. Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, hat ihre zu Beginn dieses Jahres geäußerte Position komplett geändert und eine Erhöhung der Zinsen im dritten Quartal 2022 angekündigt.

Im Hinblick auf die Inflation und steigender Zinsen ist die Volatilität der Aktien deutlich höher, ganz besonders mit Blick auf all die Gerüchte zur Stagflation. Die Angst vor einer schwachen Wirtschaft und einer chronischen Inflation wäre eine unglückliche Verkettung, die dazu führen würde, die Aktien in den freien Fall zu senden. Im Jahr 2022 war die bloße Möglichkeit dieses gefürchteten Phänomens Anlass für Investoren, sich auf sichere Anlageklassen wie Staatsanleihen zu konzentrieren.

Die Inflation in der Euro-Zone liegt bei 7,5 % und veranlasste die EZB zu Zinsanhebungen.
Die Inflation in der Euro-Zone liegt bei 7,5 % und veranlasste die EZB zu Zinsanhebungen.

Bestehende Sorgen im Zusammenhang mit COVID-19 und Lockdowns in China

Das erste Auftreten von COVID-19 Anfang 2020 führte zu Lockdowns weltweit und brachte die Weltwirtschaft zum Stillstand. Der Aktienmarkt verzeichnete das schlechteste erste Quartal aller Zeiten, und schmerzhafte Erinnerungen an die Finanzkrise 2008 wurden wieder wach.

Regierungen verteilten Konjunkturpakete, um die Wirtschaft über Wasser zu halten, und Privatpersonen investierten auf dem Aktienmarkt. Jetzt, da die Zinsen wieder steigen und die Konjunkturpakete erschöpft sind, könnte sich durch den Rückgang am Aktienmarkt ein genaueres Bild der Stimmung unter den Investoren abzeichnen.

Auch wenn Lockdowns in den meisten Ländern der Vergangenheit angehören, setzt doch China als der weltweit größte Exporteur und die zweitgrößte Volkswirtschaft Lockdowns in einigen der größten Städte wie Shanghai und Peking fort. Chinesische Aktien sind in einen Bärenmarkt abgestützt, und die Lockdowns haben weltweit Schockwellen ausgestrahlt.

Lieferkettenprobleme in nahezu jeder Branche

Die Klagen von Unternehmen und Verbrauchern über die Herausforderungen der Lieferkette und wie diese für Verzögerungen in nahezu allen Bereichen verantwortlich sind, sind nur allzu bekannt. Am Anfang der Lieferkette stehen die Rohmaterialien, die oft auch aus China stammen.

Ursprünglich entstanden die Lieferkettenprobleme, als die Nachfrage nach Waren nach der Aufhebung von Lockdowns stark anstieg. Während den Lockdowns mussten die Hersteller ihre Geschäftsabläufe zurückschrauben, um wirtschaftlich überleben zu können, und sich auf die geringere Nachfrage einstellen.

Mit dem Ende der Lockdowns und dem plötzlichen Anstieg der Nachfrage konnten dann die Hersteller diese nicht mehr erfüllen oder die Produktion entsprechend erhöhen. Dieser Aspekt im Zusammenspiel mit der extremen Knappheit auf dem Arbeitsmarkt und der Tatsache, dass die Produktion in Anlagen entsprechend begrenzt ist, sorgte dafür, dass ein globaler Versorgungsengpass entstand. Die Hersteller reagieren entsprechend – und heben die Preise an. Höhere Preise und langsamere Lieferzeiten können das Wachstum bremsen, was sich wiederum negativ auf die Aktienkurse auswirken kann.

Lieferkettenprobleme weltweit haben Produktion und Lieferung verlangsamt und verschärfen nur die Inflation.
Lieferkettenprobleme weltweit haben Produktion und Lieferung verlangsamt und verschärfen nur die Inflation.

Der Krieg in der Ukraine und die Krise bei der Erdölversorgung

Der anhaltende Krieg in der Ukraine sorgt für eine kurzfristige Volatilität der Aktienkurse, die durch die Abhängigkeit Europas von russischer Energie wahrscheinlich noch verstärkt wird. Die militärische Stärke und der geopolitische Einfluss Russlands haben die Ängste der Investoren geschürt, während die weltweiten Sanktionen gegen den russischen Handel die Krise im Hinblick auf die Energieversorgung befeuert haben.

Während viele Länder nun den Kauf russischen Erdöls vermeiden, erhöhen andere Anbieter in anderen Ländern ihre Preise, da die Energienachfrage das verfügbare Angebot bei Weitem übersteigt. Folge dieses Ungleichgewichts war eine stärkere Inflation, die bekanntermaßen Wachstum verhindern kann. Darüber hinaus veranlassen die Zentralbanken aufgrund der Inflation – die hauptsächlich durch den Energiesektor angetrieben wird – Zinserhöhungen, was für das BIP-Wachstum sicherlich nicht förderlich ist.

Umsatz- und Gewinneinbußen von Unternehmen

Auch wenn die oben genannten Gründe die Aktienkurse aus wirtschaftlicher, emotionaler und erwartungsgemäßer Sicht beeinflussen, können sich Gewinneinbußen von Unternehmen stark auf Aktienpreise auswirken. Beispielsweise sind die Aktien von Snapchat (NYSE: SNAP) 2022 um nahezu 70 % eingebrochen, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass das Unternehmen die entsprechenden Umsatz- und Verdienstziele verfehlt hat. Auch Amazon (NASDAQ: AMZN) blieb weit hinter den Ergebnissen des ersten Quartals zurück, und obwohl das Unternehmen ein bescheidenes Wachstum verzeichnen konnte, musste es dennoch das schlechteste Wachstum im Jahresvergleich in den letzten 20 Jahren verbuchen. Als Reaktion darauf stießen die Investoren ihre Amazon-Anteile ab, wodurch allein im Vormonat über 27 % der Marktkapitalisierung des Unternehmens ausgelöscht wurde.

Der freie Fall der Märkte ist nicht auf einen einzigen Grund zurückzuführen, vielmehr können in diesem Zusammenhang die geopolitische Unsicherheit, Probleme in der Lieferkette, die Inflation sowie steigende Zinsen aufgeführt werden. Die Investoren haben Angst vor dem Unbekannten, und die gesamte Welt befindet sich derzeit in einer sehr angespannten Lage. In vielen Fällen reagieren Investoren auf tatsächliche Ereignisse wie beispielsweise Unternehmensgewinne; in anderen Fällen können sich wilde Spekulationen sowie Angst und Unsicherheit auf die Finanzentscheidungen der Investoren auswirken. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation hat es den Anschein, dass jedes Unternehmen vor einer Reihe unüberwindbarer Probleme steht, und den Investoren fehlt die Zuversicht, dass diese Probleme zeitnah gelöst werden könnten.